Aktionswoche_Armut_2022
Jedes Jahr findet in Baden-Württemberg eine Aktionswoche gegen Armut statt. Partner sind die Liga der freien Wohlfahrtspflege, die Landesarmutskonferenz, die Tafeln und der DGB. Der Themenschwerpunkt der diesjährigen Aktionswoche vom 17. bis 21. Oktober lautet "Armut im Klimawandel".
Als das Motto gewählt wurde, war wohl noch nicht absehbar, welche Brisanz die Armut und die Angst davor, in weiten Teilen der Bevölkerung im Oktober 2022 erlangen würde. "Wir sind ja aktuell mit vielen Krisen gleichzeitig konfrontiert, die sich geradezu stapeln", sagte Stefan Schneider, Regionalleiter der Caritas Heilbronn-Hohenlohe und derzeitiger Liga-Vorsitzender im Main-Tauber-Kreis, in seiner Begrüßung zu einem Expertengespräch aus Anlass der Aktionswoche. "Die eine Krise ist noch nicht bewältigt und schon kommt die nächste dazu."
Heike von Brandenstein, Redakteurin der Fränkischen Nachrichten, moderierte die Runde. Sie griff gleich den Begriff der "Stapelkrisen" auf. "Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und jetzt die Energiekrise. Mit welchen Sorgen kommen aktuell die Menschen zu Ihnen", fragte sie die Vertreter*innen der Wohlfahrtsverbände. "Wir verzeichnen eine steigende Anzahl von Anfragen und Hilfesuchenden", berichtete Aleksandar Milinkovic vom Caritasverband im Tauberkreis. "Viele Sorgen drehen sich um das Thema Wohnen. Die Menschen befürchten, dass sie durch die insgesamt steigenden Kosten und vor allem die Energiekosten die Miete nicht mehr bezahlen können und ihre Wohnung verlieren. Es kommen Menschen aller Altersgruppen zu uns, von 21 bis 80 Jahren."
In der Schuldnerberatung der Diakonie hat sich auch die Zahl der Anfragenden erhöht, die sich vorsorglich informieren möchten, bevor sie in existenzielle Nöte geraten, berichtete Schuldnerberaterin Birgit Gube. "Es fragen mehr Menschen nach, auch Kleinselbstständige, die sich jetzt Sorgen um ihre Existenz machen." Die steigenden Energiekosten sind in vielen Fällen das zentrale Thema. Sie können das Fass zum Überlaufen bringen, wenn die finanzielle Situation ohnehin angespannt ist. Was ist, wenn dann sogar eine Stromsperre droht? Ann-Kathrin Murphy vom Stadtwerk Tauberfranken kennt diese Frage nur zu gut. "Bevor der Strom abgeschaltet wird, erfolgen zunächst zwei Mahnungen", versicherte sie. "Auch die Energieversorger machen sich Sorgen, wenn mehr Kunden ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Wir sind gerne bereit im persönlichen Gespräch eine Lösung zu finden. Wir empfehlen sich rechtzeitig zu melden, wenn Zahlungsprobleme absehbar sind. Niemand stellt gerne den Strom ab. Das ist auch für unsere Mitarbeitenden nicht einfach." Aleksandar Milinkovic wünscht sich für diese Fälle eine engere Verzahnung von Beratungsstellen, Energieversorgern und Jobcenter.
Steigende Energiekosten belasten aber auch die Träger von sozialen Einrichtungen. Wie kann man steigende Energiekosten in stationären Einrichtungen abfedern, wollte Heike von Brandenstein wissen. "Wir haben unsere Mitarbeitenden angehalten, beim Heizen zu sparen", antwortete Felix Müller vom DRK Kreisverband Tauberbischofsheim. Auf der Einnahmenseite gibt es keine Spielräume. "Die Entgeltverhandlungen mit unseren Auftraggebern sind für dieses Jahr schon gelaufen", erklärte Barbara Knorr von der Jugendhilfe Creglingen. "Wir müssen sehen, was nächstes Jahr möglich ist." Bis dahin setze sie auch auf die Überzeugungskraft ihrer Mitarbeitenden. "In der Jugendhilfe kann man mit Pädagogik arbeiten. Man sollte den jungen Menschen schon in der Schule erklären, wie man mit wenig Geld auskommt."
Für einen "Weg der kleinen Schritte" plädierte Stefan Schneider. "Jeder kann etwas tun. In Büros die Raumtemperatur anzupassen ist relativ einfach. Problematisch ist das eher in Kitas oder Altenheimen."
Zum Jahresthema der Armutswoche "Armut im Klimawandel" konnte Albrecht Rudolf vom NABU Ortsverein Werbach einen Bezug herstellen. "Die Anzahl der Holzöfen nimmt zu. Es wird Holz im Wald gesammelt. Was macht das mit der Natur", fragte die Moderatorin. "Wir haben ist eine gewisse Sorge, dass sich die Menge des Holzverkaufs aus unserem Wald deutlich erhöht", sagte Albrecht Rudolf. "Der Wald ist ja nicht nur Energielieferant. Er liefert auch Sauerstoff und Feuchtigkeit. Durch eine zu starke Nutzung als Energielieferant, leidet der Wald und dadurch die Umwelt insgesamt." Er empfahl lieber in Richtung Photovoltaik für die private Energieversorgung zu schauen.
Zum Abschluss der Runde waren sich die Teilnehmer*innen einig. Diese Krisen kann man weder als Person noch als Organisation allein bewältigen. "Gemeinsinn und Gemeinschaft schaffen", war das Fazit. "Es braucht Solidarität und tragfähige Kooperationen", betonte Stefan Schneider.
Mehr Informationen zur Aktionswoche in Baden-Württemberg:
www.armut-bedroht-alle.de